17. Dezember 2019
LAG

Istanbul Konvention – Erforderliche Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Rheinland-Pfalz



Positionspapier der Landesarbeitsgemeinschaft der Frauennotrufe Rheinland-Pfalz

Vorwort

Seit dem 01.02.2018 ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die sogenannte Istanbul-Konvention in Deutschland in Kraft und damit geltendes Recht. Dieser völkerrechtliche Vertrag stellt einen Meilenstein im Bestreben dar, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in Europa zu verhindern.

Dabei liegt der Istanbul-Konvention ein Gewaltbegriff zugrunde, der Gewalt gegen Frauen als geschlechtsspezifisch und strukturell bedingt definiert. Für die Vertragsstaaten leitet sich daraus die Verpflichtung zur Umsetzung weitreichender Maßnahmen ab, die einen ganzheitlichen Ansatz zur Gewaltbekämpfung verfolgen und damit den Schutz betroffener Frauen ebenso wie präventive Maßnahmen und die Beseitigung struktureller Ursachen von Gewalt umfassen.

Was bedeutet diese Verpflichtung konkret für Rheinland-Pfalz in Bezug auf das Thema Sexualisierte Gewalt und auf die Arbeit der Frauennotrufe? Welche Herausforderungen stellen sich auf dem Weg zur Umsetzung der Istanbul-Konvention?

Die Frauennotrufe in RLP haben eine erste Analyse erstellt, die mit fachlicher Expertise eine Auflistung der notwendigen Maßnahmen im Bereich Verhütung und Bekämpfung Sexualisierter Gewalt darlegt. Die Dringlichkeit zur Auseinandersetzung und zur Etablierung eines ganzheitlichen Ansatzes zum Schutz von Frauen vor Gewalt in unserem Bundesland wird in der folgenden Abhandlung dargelegt.

Die Istanbul-Konvention enthält Forderungen bezüglich Sexualisierter Gewalt, die bisher z.T. nicht zu den Aufgabenfeldern der Frauennotrufe gehören. Gleichwohl sollten sie mitbedacht und die Frauennotrufe dazu gehört werden.

Beispiele:

  • Anerkennung geschlechtsspezifischer Gewalt als Asylgrund in Antragsverfahren; Soforthilfe für Betroffene unabhängig vom Aufenthaltsstatus; Finanzierung der erforderlichen Sprachmittlung (Artikel 60)
  • Schaffung von spezialisierten Interventionsprojekten für die Arbeit mit sexuell übergriffigen Kindern und Jugendlichen; Einrichtung von Fachberatungsstellen für Schulen und Eltern (Ziel: frühzeitige Verhinderung von Täterkarrieren) (Artikel 16)

Die nachfolgende Abhandlung zeigt: Die Gesellschaft und die politisch Verantwortlichen müssen die Bereitschaft zu größeren Anstrengungen – auch finanziellen – aufbringen und die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellen.

Einleitung

Das Abkommen definiert Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung, als geschlechtsspezifisch und strukturell. Es erkennt in der Präambel an, „dass Gewalt gegen Frauen einer der entscheidenden Mechanismen ist, durch den Frauen in eine untergeordnete Position gegenüber Männern gezwungen werden“.

Die Istanbul-Konvention fordert die Beseitigung des Machtungleichgewichts zwischen Männern und Frauen, wodurch auch das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und Mädchen gestärkt wird. Alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen müssen unter Strafe gestellt werden und jedes „Einverständnis muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens (…) erteilt werden“ (Artikel 36). Darüber hinaus muss sexuelle Belästigung in jeder Form (straf-)rechtlich sanktioniert werden (Artikel 40).

Gefordert sind ein Paradigmenwechsel und die Bewusstseinsbildung bei Männern und Frauen, um die Akzeptanz und die Durchsetzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung von Frauen zu erreichen.

In diesem Sinne verpflichtet sie die Staaten zu umfassenden Maßnahmen:

  • die einen ganzheitlichen Ansatz bei der Bekämpfung Sexualisierter Gewalt und anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt verfolgen und sie in den Kontext gesellschaftlicher Verhältnisse setzen
  • die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffene Frauen und Mädchen unterstützen und schützen
  • die präventiv wirksam sind
  • die geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Mädchen verhindern
  • die die Öffentlichkeit für die Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Gewalt sensibilisieren, und damit bewusstseinsbildend sind

Mit Inkrafttreten der Istanbul Konvention ist eine ausreichende Finanzierung keine freiwillige Leistung mehr, sondern zur Pflichtaufgabe des Staates geworden:

Artikel 8 Finanzielle Mittel
Die Vertragsparteien stellen angemessene finanzielle und personelle Mittel bereit für die geeignete Umsetzung von ineinandergreifenden politischen und sonstigen Maßnahmen sowie Programmen zur Verhütung und Bekämpfung aller in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt, einschließlich der von nichtstaatlichen Organisationen und der Zivilgesellschaft durchgeführten.

Artikel 9 Nichtstaatliche Organisationen und Zivilgesellschaft
Die Vertragsparteien anerkennen, fördern und unterstützen auf allen Ebenen die Arbeit einschlägiger nichtstaatlicher Organisationen und der Zivilgesellschaft, die Gewalt gegen Frauen aktiv bekämpfen, und begründen eine wirkungsvolle Zusammenarbeit mit diesen Organisationen.

Dabei regelt die Konvention, dass folgende Bereiche abgedeckt sein sollen:

  1. Politische Arbeit gegen gesellschaftliche Strukturen, die geschlechtsspezifische Gewalt hervorbringen und aufrechterhalten (vgl. Artikel 6 und 7 der Istanbul Konvention)
  2. ausreichende Kapazitäten und geeignete Materialien für Öffentlichkeitsarbeit, die das wusstsein über geschlechtsspezifische Gewalt in allen Teilen der Gesellschaft verändert (vgl. Artikel 12 und 13 der Istanbul Konvention)
  3. Prävention und zielgruppenspezifische Bildung (vgl. Artikel 14 und 15 der Istanbul Konvention)
  4. Unterstützungsarbeit, die auch zielgruppenspezifisch die Personen einschließt, die auf Grund von Mehrfachdiskriminierung wie z.B. Behinderung oft einen schlechteren Zugang zu Hilfsangeboten haben (vgl. Kapitel IV Schutz und Unterstützung: Artikel 18, 22, und 25 und Artikel 4 Grundrechte, Gleichstellung und Diskriminierung insbesondere Absatz 3)

Ziel ist, sexualisierte Grenzverletzungen in allen Lebensbereichen wahrnehmbar zu machen und zu sanktionieren, Frauen und Mädchen zu schützen sowie Sexualisierte Gewalt und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt effektiv zu bekämpfen.

„Im Kern verursacht ist Männergewalt gegen Kinder und Frauen durch einen tiefen Mangel an Respekt. Nötig ist es, Strukturen und Kulturen zu verändern.“(1)

Was bedeuten diese Verpflichtungen konkret für das Land Rheinland-Pfalz in Bezug auf die Arbeit der Frauennotrufe als Fachstellen zum Thema Sexualisierte Gewalt in Rheinland-Pfalz?

Rheinland-Pfalz kann auf ein spezialisiertes Fach- und Beratungssystem für Betroffene sexualisierter und anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt aufbauen.

Geschlechtsspezifische Gewalt ist jede Form von Gewalt, durch die Frauen und Mädchen körperlich oder psychisch verletzt werden, eben weil sie Frauen oder Mädchen sind. Dazu gehören sexuelle Belästigung, Körperverletzung durch den_die Partner_in, Stalking, Vergewaltigung, Bedrohung und vieles mehr.“ (2)

Die 12 Frauennotrufe in RLP sind ambulante Fach- und Beratungsstellen für Frauen und Mädchen zum Thema Sexualisierte Gewalt und wichtiger Teil des Beratungs- und Interventionsverbundes zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen.

In der Arbeit gegen Sexualisierte Gewalt an Frauen und Mädchen und im Rahmen von RIGG sind die Frauennotrufe seit Jahrzehnten Fachstellen mit Fachkompetenz in allen Bereichen des Themenkomplexes sexualisierte Grenzverletzungen, Übergriffe und Gewalt. Die Arbeit der Fachstellen geht über die im RIGG fokussierte Partnergewalt hinaus und befasst sich mit dem differenzierten Spektrum an sexualisierten Gewaltformen. Sie beinhaltet ein auf die Bedarfe von (gewaltbetroffenen) Frauen und Mädchen sowie auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausgerichtetes System an Themen und Aufgaben: Prävention und Fortbildung, politische und Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung und Unterstützung sind gleichberechtigte Säulen.

Die Beratungs- und Unterstützungsarbeit der rheinland-pfälzischen Frauennotrufe bietet solidarische Unterstützung explizit für Frauen und Mädchen, die Sexualisierte Gewalt erfahren haben oder davon bedroht sind. Dabei eint die Frauennotrufe ein feministisches Professionsverständnis, das die „individuellen“ Folgen von Sexualisierter Gewalt immer im Zusammenhang mit den Verhältnissen begreift, die diese Gewalt (re-)produzieren. Sie wissen, welch große Bedeutung es für den Bearbeitungs- und Bewältigungsprozess hat, „dass Macht- und Geschlechterverhältnisse sowie strukturelle Gewalt in der Beratungs- und Unterstützungsarbeit konkret beachtet und darüber hinaus mit politischer Arbeit und Öffentlichkeitsarbeit verbunden werden“. (3) Die oft gravierenden psychischen Folgen werden als individuelle Bewältigungsstrategien des Erlebten gesehen, ohne die Frauen und Mädchen zu pathologisieren und ihre Lebensrealität auszublenden. Unterstützung findet dieser Ansatz in der Präambel der Istanbul-Konvention.

An den im Anschluss aufgelisteten Angeboten der Frauennotrufe zeigt sich die Vielfalt der Arbeitsbereiche im Themenkomplex Sexualisierte Gewalt, die sich seit Beginn der Frauennotruf-Arbeit stetig erweitert haben. Unterschiedliche Zielgruppen, aktuelle Entwicklungen (Bsp. Digitale Gewalt) sowie das breitgefächerte Angebot erfordern immer wieder neue passgenaue Konzepte.

Zur aktuellen (Finanz-)Situation der Frauennotrufe in Rheinland-Pfalz

„In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit sind viele Fachberatungsstellen gut etabliert. Kaum jemand kann sich vorstellen, dass viele von ihnen mit jährlich ablaufenden Finanzierungen und massiver Unterbesetzung zu kämpfen haben. Viele Fachberatungsstellen arbeiten seit Jahren mit geringen Ressourcen am Rande ihrer Kapazitäten. Ein Bericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2012 benennt deutliche Lücken in der Versorgung gewaltbetroffener Frauen und Mädchen.“ (4)

  • Kostensteigerung und wachsende Anfragen
  • Den stetig steigenden Kosten (z.B. Personalkosten, Mieten, Energiekosten) stehen über Jahre gleichbleibende öffentliche Zuschüsse gegenüber. Dies kommt einer Kürzung der Zuschüsse gleich.
  • Neben den steigenden Kosten steigen auch die Nachfragen in allen Arbeitsbereichen. D.h. immer mehr Aufgaben sollen mit immer weniger finanziellen Ressourcen bewältigt werden.
  • Die Arbeit der Frauennotrufe wird meist lediglich an den Beratungszahlen gemessen. Die ebenso wichtigen Säulen in der Arbeit als Fachstellen Öffentlichkeitsarbeit, Prävention, politische Arbeit, regionale Vernetzungs- und Gremienarbeit aber auch Verwaltungsarbeit sind in den Zuschüssen nicht hinreichend berücksichtigt. Das führt zu gravierenden Finanzierungslücken.
  • Die zunehmenden Finanzierungslücken führen zu einer aufwändigen Finanzierungsarbeit und fehlender Planungssicherheit:
    o Anträge auf öffentliche Förderung müssen jährlich gestellt werden an Kommunen, Kreise und das Land.
    o Um einzelne Finanzierungslücken zu schließen, werden immer wieder themengebundene Projektmittel beantragt, die jedoch nur für befristete Zeiträume fließen und keine Grundsicherung darstellen.
    o Eigen- und Drittmittelakquise wird immer umfangreicher und bindet personelle Kapazitäten (Spenden, Bußgelder, Stiftungsmittel usw.).
    o Ein breiter Finanzierungsmix macht neben der Antragstellung auch die Abrechnung der jeweiligen Mittel pro Jahr umfangreicher.
  • Kommunen und Kreise sind unterschiedlich finanziell ausgestattet und entsprechend fallen die Zuschüsse in unterschiedlicher Höhe aus.
  • Die Kosten für Anschaffungen wie z.B. Büromöbel, Ausstattung von Gruppenräumen, PCs und Materialien bzw. Kosten für Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Miete von Werbeflächen) müssen zusätzlich eingeworben werden.
  • Zeitliche und finanzielle Ressourcen für Fort- und Weiterbildung fehlen

„Das Unterstützungsangebot ist mehrheitlich unterfinanziert. Das Volumen an Personal bzw. Arbeitszeit reicht oft nicht aus, um spezifische Aufgabenbereiche in gewünschter Qualität umzusetzen.“ (5)

Auswirkungen auf betroffene Frauen und Mädchen und Gesellschaft

Die ungenügenden finanziellen Ressourcen wirken sich direkt auf die personellen Kapazitäten aus. Dadurch geraten Öffentlichkeits- und präventive Arbeit immer wieder in Konkurrenz zur Unterstützungsarbeit.

Bereits 2012 stellt das sozialwissenschaftliche Gutachten „Rechtliche Anforderungen und Möglichkeiten der Ausgestaltung und Finanzierung des Hilfesystems bei Gewalt“, das im Auftrag des bff erstellt wurde, fest: „Findet persönliche Beratung statt, ist das Telefon nicht eingeschaltet, ist die Mitarbeiterin zu Öffentlichkeitsterminen, Präventionsworkshops oder Facharbeitskreisen außer Haus, gibt es keine Beratung usw. Je schwieriger die telefonische und persönliche Erreichbarkeit einer Fachberatungsstelle, desto eher werden Klientinnen in ihrem Impuls zur Hilfesuche enttäuscht und demotiviert, was eine Verlängerung von Gewaltverhältnissen bedeuten kann.“ (6)

Angebote für bestimmte Zielgruppen sind sehr zeitintensiv – sowohl im Aufbau als auch fortlaufend. Neben verstärkter Öffentlichkeitsarbeit braucht es u.a. zusätzliche Vernetzungsstrukturen, Fort- und Weiterbildungsangebote (Beispiel Frauen 60+). Neben den fehlenden personellen Kapazitäten fehlt es weiterhin an finanziellen Mitteln für zielgruppenspezifische Materialien (z.B. in Braille Schrift, einfacher Sprache, Fremdsprachen), Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen. Das führt in der Praxis dazu, dass bestimmte Gruppen (Betroffene und Fachkräfte / Einrichtungen) nicht erreicht werden können.
Grundsätzliche führen Präventionsveranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit immer auch zu einer steigenden Nachfrage an Fortbildungen und Unterstützung. Bei der Umsetzung ist daher immer eine Abwägung notwendig, ob die Nachfrage auch bedient werden kann.

Folgen der Finanzierung für die Mitarbeiterinnen

„Die grundsätzlich fehlende Absicherung der Einrichtung bedeutet eine grundsätzlich fehlende Absicherung der Arbeitsplätze und mehrheitlich eine Bezahlung, die über lange Zeit nicht tarifgerecht ist. Dies wird als ein Mangel an gesellschaftlicher Wertschätzung und an Gerechtigkeit wahrgenommen und kann Belastungsphänomene, die zur Arbeit mit akut von Gewalt Betroffenen gehört, zusätzlich verschärfen.“ (7) Die mangelnde finanzielle Ausstattung der Einrichtungen führt dazu, dass die Mitarbeiterinnen überwiegend in Teilzeit beschäftigt werden, was perspektivisch die Altersarmut von Frauen zur Folge hat. Als weitere Folge sind qualifizierte Mitarbeiterinnen schwer zu finden und zu halten.

Forderungen

Seit der Gründung der Fachstellen zum Thema Sexualisierte Gewalt hat sich einiges verändert. Gesetzesreformen wurden auf den Weg gebracht, um die Situation von Frauen und Mädchen zu verbessern. Dazu haben die Frauennotrufe als autonome, parteipolitisch und konfessionell unabhängige Fachstellen wesentlich beigetragen, da sie immer neben der individuellen Unterstützung Betroffener die gesellschaftlichen Zusammenhänge und den Änderungsbedarf in Bezug auf die Haltung zu Sexualisierter Gewalt in den Fokus nehmen. Ihre Unabhängigkeit ermöglicht ein konsequentes und manchmal auch unbequem empfundenes Handeln gegen Sexualisierte Gewalt.

Die Frauennotrufe in RLP sehen im Bereich Sexualisierter Gewalt sowohl innerhalb enger sozialer Beziehungen als auch in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen Lücken und deutliche Handlungsbedarfe. Diese beziehen sich sowohl auf ein bedarfsdeckendes und zugängliches Beratungsangebot spezialisierter Fachstellen zum Thema Sexualisierte Gewalt, als auch auf - wie in der Konvention gefordert – umfangreiche Präventions- und Fortbildungsangebote sowie Öffentlichkeitsarbeit, die das gesellschaftliche Bewusstsein verändern in Bezug auf Wahrnehmung und Bewertung von sexualisierten Grenzverletzungen.

Nach wie vor ist es wegen der fehlenden Kapazitäten nicht möglich, Betroffene frühzeitig zu erreichen und umfangreiche präventive Maßnahmen durchzuführen, obwohl die Frauennotrufe über die fachliche Expertise verfügen. Die Umsetzung des ganzheitlichen Arbeitsansatzes der Frauennotrufe kann nur auf Grundlage ausreichender personeller und materieller Ressourcen nachhaltig sichergestellt werden.

Dazu müssen die Gesellschaft und die politisch Verantwortlichen die Bereitschaft zu größeren Anstrengungen – auch finanziellen – aufbringen und mehr Ressourcen zur Verfügung stellen.

  • Kontinuierlicher Ausbau von Frauennotrufen / Fachstellen zum Thema Sexualisierte Gewalt
  • ausreichende Stellen für präventive Arbeit mit Mädchen und Jungen und Fortbildung von Fachkräften
  • Angebote wie beispielsweise die medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung müssen voll finanziert werden, damit den Fachstellen als federführenden Einrichtungen keine zusätzlichen Kosten entstehen.
  • ein dynamisches Finanzierungssystem, das ermöglicht, neben den bestehenden Aufgabenfeldern auch auf neue Entwicklungen und gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren.
  • die Arbeit der Frauennotrufe ist als Querschnittsaufgabe zu betrachten, Verantwortung und damit die Finanzierung der Angebote für unterschiedliche Zielgruppen muss auf unterschiedliche Ministerien und somit Haushalte verteilt werden.
  • Ausreichende Stellen für Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit

Bedarfsgerechte Finanzierung bedeutet immer auch unterschiedliche Finanzierung der einzelnen Frauennotrufe, die die regionalen Besonderheiten und besondere Bedarfe einzelner Zielgruppen berücksichtigt. Die konkreten Zahlen hierzu finden sich in den Anträgen der Frauennotrufe.

Wir fordern daher, dass auf Landesebene angemessene finanzielle Mittel für die umfangreichen Aufgabengebiete der Frauennotrufe bereitgestellt werden.

Themen der Frauennotruf-Arbeit:

  • Vergewaltigung
  • Medizinische Akutversorgung nach Vergewaltigung
  • Sexualisierte Gewalt in der Kindheit (sexueller Missbrauch)
  • Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
  • Sexualisierte Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen
  • Sexualisierte Gewalt im Sport
  • Digitale Gewalt
  • KO-Mittel als Vergewaltigungsdrogen
  • Stalking
  • Dissoziative Identitätsstrukturen als unmittelbare Gewaltfolge
  • Begleitung bei Überlegungen zu Strafanzeige und im weiteren Verlauf
  • Psychosoziale Prozessbegleitung
  • Finanzielle Hilfen für betroffene Frauen (OEG, Fonds sexueller Missbrauch)
  • Sekundäre Traumatisierung / Entlastungsberatung

Zielgruppen:

Mädchen (ab 12 J.) und Frauen

  • mit akuten Gewalterfahrungen
  • mit (oftmals lange) zurückliegenden Gewalterfahrungen
  • Frauen mit mehrfachen Gewalterfahrungen

Frauen mit spezifischen Zugangsschwierigkeiten

  • Frauen mit Beeinträchtigung (körperlich, psychisch, kognitiv, Sinnesbeeinträchtigungen)
  • Frauen mit Migrationshintergrund
  • geflüchtete Frauen
  • alte Frauen
  • Frauen in Justizvollzugsanstalten
  • Frauen in Alten- und Pflegeheimen

Angehörige und unterstützende Personen
Fachkräfte (z.B. pädagogische Fachkräfte, ÄrztInnen, Hebammen, FSJler, Polizei und Justiz, Pflegekräfte) in Institutionen wie

  • Kindertagesstätten, Schulen (Grund- und weiterführende Schulen, Förder- und Werkschulen, Berufsschulen)
  • kirchliche Einrichtungen
  • Werkstätten und Wohnheime für Menschen mit Beeinträchtigungen
  • Alten- und Pflegeheime
  • Sportvereine

Inhalte

  • Krisenintervention für Betroffene und Angehörige
  • (auch längerfristige) Stabilisierungsarbeit mit gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen
  • Psychoedukation: Ausmaß, Ursachen, Auswirkungen und Verarbeitungsmöglichkeiten Sexualisierter Gewalt sowie Umgang mit den daraus folgenden Problemen wie Essstörungen, Ängsten, Depressionen …
  • Beratung von Institutionen zu konkreten aktuellen Fällen, z.B. sexualisierte Übergriffe auf Schutzbefohlene, Sexualisierte Gewalt unter erwachsenen Bewohnern von Einrichtungen; verdeckte und erzwungene Prostitution von Frauen mit geistigen Beeinträchtigungen; Übergriffe unter Kindern und Jugendlichen,
  • Erarbeitung von Schutzkonzepten
  • Entlastungsberatung für Personen, die in ihrem Arbeitszusammenhang mit traumatisierenden Inhalten konfrontiert sind
  • Informationen über und Unterstützung bei juristischen Schritten
  • Organisation und Anleitung von Selbsthilfegruppen zur Wiedererlangung von Autonomie und dem Gefühl von Selbstwirksamkeit
  • Konzeption und Umsetzung von Maßnahmen zur Prävention von sexualisierter Gewalt - in Kindertagesstätten - in Schulen: für Kinder, Jugendliche, Kollegien und Eltern - feministische Selbstbehauptung und Selbstverteidigung für Mädchen und Frauen
  • Berufsgruppenspezifisch konzipierte Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte, ÄrztInnen, Hebammen, FSJler, Polizei und Justiz und andere Professionen, die in ihrem beruflichen Alltag konfrontiert sind mit gewaltbetroffenen Frauen und Mädchen , die in dem jeweiligen Kontext erstmalig von den Gewalterfahrungen sprechen
  • Öffentlichkeitsarbeit, Struktur- und Vernetzungsarbeit

 

Oktober 2019
Für die LAG der Frauennotrufe:
Eva Jochmann (FNR Mainz), Astrid Rund (FNR Rhein-Hunsrück-Kreis), Ilga Schmitz (FNR
Speyer)

 

(1) UN-Generalsekretär Antonio Guterres am 19.11.2018
(2) Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe bff: Stark für die Gesellschaft – gegen Gewalt, S.9
(3) Ariane Brennsell, Kontextualisierte Traumaarbeit
(4) Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe bff: Stark für die Gesellschaft – gegen Gewalt, S. 18
(5) Bericht der Bundesregierung 2012 aus: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe bff: Stark für die Gesellschaft – gegen Gewalt, S. 20
(6) Zitat aus: Gutachten von Prof. Dr. Dagmar Oberlies, Fachhochschule FfM. zu den rechtlichen Anforderungen und Möglichkeiten der Ausgestaltung und Finanzierung des Hilfesystems bei Gewalt, Zusammenfassung. Hg. Bff Bundesverband Frauenberatung und Frauennotrufe 2012
(7) Bericht der Bundesregierung 2012 aus: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe bff: Stark für die Gesellschaft – gegen Gewalt, S. 28

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