22. Oktober 2018
Pressemitteilung
Veranstaltung
LAG

Nein heißt Nein! – Paradigmenwechsel oder Papiertiger



Fachtagung der Frauennotrufe in Rheinland Pfalz zu einer Zwischenbilanz der Reform des Sexualstrafrechts


v.l.n.r.: Anette Diehl (Frauennotruf Mainz e.V.), Gisela Bill (Vorsitzende Landesfrauenbeirat), Angela Seip (Hochschule der Polizei), Christina Clemm (Fachanwältin für Strafrecht, Berlin), Mareike Ott (Frauennotruf Ludwigshafen)

Nach langem Ringen wurde 2016 mit der Reform des Sexualstrafrechts ein Paradigmenwechsel eingeleitet und alle nichts einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt. Auf der Fachtagung Nein heißt Nein! – Paradigmenwechsel oder Papiertiger, zu der die rheinland-pfälzischen Frauennotrufe in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung Rheinland-Pfalz und dem Landesfrauenbeirat eingeladen hatten, zogen die über 60Teilnehmenden eine Zwischenbilanz.

Vor dem Hintergrund, dass es nur sehr wenige Anzeigen zu Vergewaltigung in Deutschland gibt, waren die wichtigsten Fragen der Veranstalterinnen: Wie wurde diese grundlegende Reform bisher in die Praxis umgesetzt und was muss weiter getan werden, um das Recht von Frauen auf sexuelle Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft zu verankern?

In ihrem Grußwort zur Eröffnung der Veranstaltung erinnert Gisela Bill, Vorsitzende des Landesfrauenbeirats, an ihre Zeit als Landtagsabgeordnete im rheinland-pfälzischen Parlament und die „geballte Gegenwehr“, wenn es um das Thema Männergewalt gegen Frauen ging. Das sich dies im Laufe der Jahre verändert hat, sei auch ein großer Verdienst der Frauennotrufe, die mit hohem Fachwissen und unermüdlichem Einsatz das Thema sexualisierte Gewalt in die Politik und die Öffentlichkeit getragen haben und weiterhin tragen.

Im zweiten Grußwort verweist Alrun Schleiff, Geschäftsführerin der Heinrich Böll Stiftung Rheinland-Pfalz auf die noch immer bestehende Alltäglichkeit von Gewalt. Sie hofft, „dass z.B. der Schlagersänger GG Anderson mit seinem 2000 veröffentlichten Lied „Nein heißt ja“ bald nicht mehr zur Prime Time in irgendwelchen Schlagershows auftreten kann“.

In ihrem Vortrag erläutert Fachanwältin Christina Clemm aus Berlin die Veränderungen im Strafrecht, wo es Hürden und Stolperfallen gibt und was sich in der Praxis für betroffene Frauen verändert hat. Wie das neue Recht in der Praxis umgesetzt wird, ist auch fast zwei Jahre nach der Reform schwer zu sagen, da es bislang nur sehr wenige verhandelte Fälle gibt. Ermittlungsverfahren zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung dauern Jahre. Hier setzt Christina Clemm auch mit ihren ersten Forderungen an: es braucht mehr Forschung im Bereich sexualisierte Gewalt: Wie geht es betroffenen Frauen nach dem Prozess? Wie kann Prävention wirken? Sie fordert insbesondere eine Auswertung von Rechtsprechung im Bereich sexualisierte Gewalt, sowie Forschung über die Wirksamkeit von Strafen und Täterarbeit.

In dem anschließenden Podiumsgespräch diskutieren die Vorsitzende des Landesfrauenbeirats Gisela Bill, die Fachanwältin Christina Clemm, die Dozentin an der Hochschule der Polizei RLP Angela Seip, sowie die Vertreterin der Frauennotruf in Rheinland Pfalz Anette Diehl wie der Paradigmenwechsel im neuen Sexualstrafrecht umgesetzt und in der Gesellschaft  ankommen kann. Clemm betont auch hier, dass  das Tabu-Thema für betroffene Frauen „sprechbar“ werden muss.

Seip weist darauf hin, dass bei der Polizei die Reform spürbar ist: mehr Frauen zeigen an – allerdings bei gleichbleibender personeller Besetzung. Sie fordert daher, dass – um den Frauen gerecht zu werden – mehr Polizeibeamtinnen und –beamte eingesetzt werden. Aber auch in der Justiz fehlt es an Personal, weshalb es lange dauert, bis ein Gerichtsverfahren eröffnet wird.

Für Bill ist zu einer effektiven Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen nach wie vor eine strukturelle Veränderung im Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern zwingend erforderlich. Sie verweist darauf, dass die Ursache von Gewalt gegen Frauen Machtausübung ist, die sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen zeigt.

Anette Diehl vom Frauenotruf Mainz erinnert an die Strafrechtsreform von 1997, als Vergewaltigung in der Ehe strafbar wurde und wie wichtig es auch heute noch ist, dass ein Unrechtsbewusstsein zu Gewalt an Frauen in der Gesellschaft entsteht: „Wir hoffen, auf die Signalwirkung in die Gesellschaft hinein: Wer ein NEIN ignoriert, tut Unrecht.“ Bis dahin müsste es einen politischen Willen geben, gemeinsam gegen die alten Mythen im Geschlechterverhältnis anzugehen.

„Als Frauennotrufe in Rheinland-Pfalz ist es uns wichtig, dass alle gesellschaftlichen und politischen Akteurinnen und Akteure dazu beitragen, dass der Paradigmenwechsel im Strafrecht auch in der gesellschaftlichen Realität ankommt und sich alte aber hartnäckige Vorstellungen über sexualisierte Gewalt ändern“, sagte Eva Jochmann vom Frauennotruf Mainz.

„Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht muss selbstverständliche gesellschaftliche Realität werden“,  ergänzte ihre Kollegin Mareike Ott vom Frauennotruf Ludwigshafen. „Dies zu erreichen ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“

Verantwortlich: Eva Jochmann (Frauennotruf Mainz), Astrid Rund (Frauennotruf Rhein-Hunsrück Kreis)

Landesarbeitsgemeinschaft  der Frauennotrufe Rheinland Pfalz

Fachstellen zum Thema Sexualisierte Gewalt

Frauennotruf Mainz, Kaiserstraße 59-61,  55116 Mainz,
Fon: 06131/221213

www.frauennotruf-mainz.de/frauennotrufe-in-rheinland-pfalz

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