21. Januar 2016
Veranstaltung

Frauennotruf Mainz: 25 Jahre im AK Gewalt gegen Frauen und Kinder



Festveranstaltung der Stadt Mainz anlässlich 25 Jahre AK "Gewalt gegen Frauen"

Doktor Heike Jung verliest ihr Grußwort

Im Januar 1991 konstituierte sich der Arbeitskreis Gewalt gegen Frauen und Kinder (AK Gewalt) heute Arbeitskreis Gewalt an Frauen und Kindern/ Regionaler Runder Tisch Mainz und Mainz Bingen. Gründungsmitglieder waren das städtische Frauenbüro, Mädchenhaus FemMa e.V., Kriminalkommissariat 12 (heute K2), Sonderdezernat der der Staatsanwaltschaft Mainz und der Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen e.V., (heute Frauennotruf Mainz).

Dr. Heike Jung, heute Leiterin der Abteilung Frauen im Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen gehörte vor 25 Jahren als engagierte ehrenamtliche Notruf-Mitarbeiterin zu den Gründerfrauen des AK. Hier ihr Grußwort anlässlich der 25-Jahr-Feier des Arbeitskreis Gewalt gegen Frauen und Mädchen:

Grußwort Dr. Heike Jung am 13.01.2016 anlässlich der Festveranstaltung der Stadt Mainz anlässlich 25 Jahre AK Gewalt gegen Frauen und Kinder

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Ebling,
sehr geehrte Damen und Herren Stadtratsmitglieder,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

ich freue mich, dass ich heute hier sein darf und danke den Gastgeberinnen für die freundliche Einladung und für die nette Begrüßung.

Ich freue mich besonders, weil auch ich vor 25 Jahren zu den Gründerfrauen gehörte, die den Arbeitskreis Gewalt gegen Frauen und Mädchen ins Leben gerufen haben. Damals hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ein Viertel Jahrhundert später, genau dieser Arbeitskreis für sein langjähriges und engagiertes Wirken gewürdigt wird.

Ich hätte aber auch nicht im Traum daran gedacht, dass ich als Abteilungsleiterin des rheinland-pfälzischen Frauenministeriums dazu ein Grußwort spreche.

Liebe Gäste,
wie war das damals? Michael Ebling hat es schon gesagt. Die Zusammensetzung dieses Arbeitskreises war Neuland, es war ein Novum, ein für diese Zeit ungewöhnliches Ereignis. Für mich war es ein Meilenstein in der Erfolgsgeschichte der Frauenbewegung. Dafür hatten wir Frauen viele Jahre gekämpft.

Bereits in den 1980er-Jahren haben engagierte Frauen den Grundstein gelegt und sich auf den Weg gemacht. Wir aktive Feministinnen hatten es satt

  • dass das Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen tabuisiert war,
  • dass die Rechte der Frauen mit Füssen getreten wurden und
  • den Frauen zu Unrecht Zugänge zur Teilhabe an vielen Bereichen dieser Gesellschaft verwehrt wurde.

Dafür haben wir gekämpft. Dass die Gewalt gegen Frauen und Mädchen öffentlich und sichtbar wird – und für Beteiligung statt Ausgrenzung.

Der Arbeitskreis ist somit auch eine Errungenschaft der Frauen. Aus uns selbst heraus und gemeinsam haben wir dies auf die Füße gestellt – wie so vieles andere auch. Und dafür danke ich an dieser Stelle all den engagierten Frauen (und Männern) damals wie heute sehr herzlich. Ich danke aber auch den Kolleginnen aus dem Frauenbüro der Stadt Mainz, die über viele Jahre engagiert den Arbeitskreis begleitet und unterstützt haben.

Lieber Arbeitskreis – ich gratuliere zu 25 Jahre erfolgreiche Arbeit und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.

Was hat sich geändert in 25 Jahren?

Michael Ebling hat bereits vieles erwähnt von dem, was sich zum Positiven verändert hat. Daran hat auch die Landesregierung ihren Anteil:

  • In den vergangenen 25 Jahren stand das Thema „Gewalt gegen Frauen“ immer mit Mittelpunkt der rheinland-pfälzischen Frauenpolitik.
  • Wir leisten finanzielle Unterstützung beispielsweise der 12 Notrufe, 16 Interventionsstellen und 17 Frauenhäuser in diesem Land.
  • Und natürlich auch durch unser Vorzeigeprojekt RIGG, dem rheinland-pfälzischen Interventionsprogramm gegen Gewalt an Frauen.

Mit RIGG haben wir im Jahr 2000 die umfassende Vernetzung aller staatlichen und nicht-staatlichen Akteurinnen und Akteure gestartet. Um eine Zahl zu nennen:
Der Beratungs- und Interventionsverbund hat seither jährlich ca. 7000 gewaltbetroffene Frauen beraten und/oder aufgenommen und unterstützt.

Somit ist vieles mit unseren gemeinsamen Projekten, mit kompetenter und professioneller Arbeit zum Thema Sexualisierte Gewalt auf den Weg gebracht worden.

So könnte ich ja jetzt zum Schluss kommen mit meinem Grußwort und sagen: Prima, dann ist ja alles in Ordnung.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren,
das ist Mitnichten so! Gerade die Ereignisse von Köln haben mit einer Brutalität und Härte eines deutlich gemacht:

Struktureller Sexismus ist in unserer Gesellschaft fest verankert und bildet den Nährboden für Übergriffe und Gewalt. Es ist keineswegs so, als hätten alle Frauen bis zu dieser Silvesternacht in Sicherheit gelebt. Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist nach wie vor ein Tabuthema in unserer Gesellschaft. Und die Debatte dazu wurde auch in den vergangenen Jahren viel zu oft verharmlost.

  • Sexuelle Gewalt ist für viele Frauen und Mädchen Alltag – wo bleibt da der Aufschrei?
  • Sexualisierte Gewalt zeichnet sich dadurch aus, dass sie überall von allen Schichten verübt wird. - Reden wir offen darüber?
  • Die Zahlen zu häuslicher Gewalt und Vergewaltigungen sind nach wie vor hoch. - Dazu bleibt eine öffentliche Debatte aus.
  • Wo sind die Aufschreie nach jedem Oktoberfest (bei fast 200 Opfern von Sexualstraftaten), jedem Karneval und jeder WM-Fanmeile? - Gab und gibt es nicht. Weil kaum jemand zugeben will, wie weit verbreitet diese Übergriffe sind.

Sexismus und sexualisierte Gewalt durchzieht unsere gesamte Gesellschaft. Das ist das Problem, über das wir reden müssen.

Unabhängig von den widerlichen Angriffen auf die Frauen in Köln. Das ist eine neue Dimension, die genauso verurteilt werden muss. Aber: Das eigentliche Thema „Gewalt gegen Frauen und Mädchen“, das wird bei dieser Diskussion nicht in den Mittelpunkt gestellt. Es ist uns bislang nicht gelungen, eine offene und ehrliche Debatte über Sexismus und sexualisierte Gewalt in dieser Gesellschaft zu führen. Das zeigt uns auch den Umgang mit den Vorfällen in Köln. Was wird stattdessen diskutiert?

  • über schnellere Abschiebung und Ausweisung von muslimischen Männern,
  • die Verschärfung unserer Asylgesetzte,
  • mehr Videoüberwachung und
  • mehr Polizeipräsenz.

Liebe Gäste,
wir sollten jetzt sehr wachsam sein. Dass

  • diese Vorfälle nicht instrumentalisiert werden, gerade auch von Leuten, die sexuelle Gewalt und Sexismus vorher noch verharmlost haben und
  • dass es kein Zurück mehr gibt, in die Zeiten, wo Frauen die Verantwortung für die Taten zugeschrieben wurden „Halten Sie eine Armlänge Abstand“. Ich möchte nie wieder eine Diskussion oder Debatte darüber führen, wie Frauen sich zu verhalten haben. Nicht Frauen tragen die Verantwortung – sondern einzig und allein die Täter.

Ich bin gespannt, ob in den kommenden Tagen über die Umsetzung der Istanbul Konvention am Beispiel der Reform des Straftatbestandes der Vergewaltigung genau so engagiert diskutiert wird, wie über die Verschärfung der Asylgesetze. Angeblich sollen jetzt die bestehenden Gesetzeslücken geschlossen werden. Jahrelang haben wir dies gefordert. Jetzt soll es möglich sein.

Und wer redet über die Opfer? Die sind längst Nebendarstellerinnen und gerade gut genug für reißerische Beschreibungen, was dort alles passiert ist. Und werden somit ein zweites Mal missbraucht.

Und am Ende? Irgendwann ist Schluss mit der Berichterstattung. Und was ist dann mit den Opfern? Die feministische Publizistin Brückner spottet: „Wenn jetzt alle auf Dauer so engagiert gegen sexualisierte Gewalt bleiben, wie in den letzten Tagen, dann ist sie bald weg“. So wird es nicht kommen.

Es wird weiterhin in Deutschland jeden Tag zu Übergriffen kommen. Aber das Thema wird dann „gefühlt“ durch sein.

Dass, meine sehr geehrten Damen und Herren, dürfen wir nicht zulassen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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